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Titel
Marianne Beth. Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin und Universalgelehrte
Weitere Titelangaben
Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare


Herausgeber
Goltschnigg, Dietmar
Erschienen
Anzahl Seiten
648 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elisabeth Perzl, Institut für Zeitgeschichte München

Die „erste Frau“ – das war Marianne Beth auf ihren Arbeitsgebieten zweifellos. Der promovierten Orientalistin und Juristin, Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin sowie Angehörigen der jüdischen Intelligenz Wiens (1890–1984) widmete der Germanist Dietmar Goltschnigg eine umfassende kommentierte Quellenedition. Der 2023 im Böhlau Verlag erschienene Band umfasst neben einem editorischen Vorwort, einer Einleitung des Herausgebers und sieben Fachbeiträgen über 80 editierte Texte von Marianne Beth. Hauptziel der Publikation ist es, die zahlreichen Veröffentlichungen der heute in Vergessenheit geratenen Universalgelehrten Marianne Beth entsprechend zu würdigen.

In thematisch-chronologischer Reihenfolge führt Dietmar Goltschnigg einleitend in das publizistische Oeuvre von Marianne Beth ein. Ihre über das Schreiben hinausgehenden beruflichen und gesellschaftspolitischen Betätigungen lässt er dabei nicht aus. Den Beginn von Marianne Beths publizistischem Wirken bildeten ihre leidenschaftlichen Friedensappelle im Ton christlicher Nächstenliebe, die sie zwischen 1921 und 1934 im Grenzboten veröffentlichte. Nach ihrer juristischen Promotion verfasste sie mehrere Beiträge für das Wiener Fachjournal Gerichtshalle, mehrheitlich zu Fragen des Ehe- und Ehescheidungsrechts. Später traten zahlreiche frauenpolitische Veröffentlichungen hinzu, wie etwa ihr 1927 publizierter Beitrag über „Die politische Sendung der Frau“ in der Volks-Zeitung. Neben den Fachbeiträgen auf dem Gebiet der Religionspsychologie und Ethnologie schenkt der Herausgeber in seiner Einführung auch ihren veröffentlichten Reisebildern und -briefen sowie ihren Buchrezensionen und Nekrologen eine besondere Berücksichtigung.

Im ersten Fachbeitrag steht die Orientalistin Marianne Beth im Vordergrund. Der Althistoriker und -philologe Hannes D. Galter führt in seinem Beitrag in die Diskurse und Netzwerke der zeitgenössischen Fachdisziplin ein. Der sich ausbreitende Antisemitismus in Europa ist dabei als Kontext durchaus präsent. Die Dissertation von Marianne Beth über die „Eigentumsveränderungen im israelitischen und babylonischen Recht“ und ihr Aufsatz „Religion von Ras Šamra“ auf dem Gebiet der Altorientalistik ordnet er vor diesem Hintergrund ein. In beiden Texten vertrat Marianne Beth ihm zufolge in erster Linie einen objektiv-wissenschaftlichen Standpunkt anstelle eines normativ-politischen. Nicht unerwähnt lässt Galter zentrale biografische Eckdaten: etwa die Tatsache, dass Marianne Beth 1908 das Studium der Orientalistik deshalb aufnahm, da Frauen in Österreich das Jurastudium zu diesem Zeitpunkt noch nicht offenstand. Außerdem hatte sie enge familiäre Verbindungen zum Zionismus.

Die beiden nachfolgenden Fachbeiträge vertreten stärker als die anderen eine geschlechterhistorische Perspektive. „Immer die Erste“ titelt die Rechtshistorikerin Ilse Reiter-Zatloukal ihren Beitrag über die Juristin Marianne Beth. Ausführlich stellt sie deren juristische Laufbahn vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Benachteiligung von Frauen in den Rechtsberufen dar: Erst 1919, im Alter von 29 Jahren und bereits als zweifache Mutter, konnte Marianne Beth das Jurastudium an der Universität Wien aufnehmen. 1921 wurde sie als erste Frau in Österreich in den Rechtswissenschaften promoviert. Später war sie die erste Frau, die in die Liste über die Strafverteidiger des Oberlandesgerichts Wien und in die Rechtsanwaltsliste der Kammer Wien eingetragen wurde. Neben dem Strafrecht lagen ihre Schwerpunkte auf dem Ehe- und Familienrecht. Auch das gesellschafts- und rechtspolitische Wirken der Protagonistin erfährt im Beitrag eine Berücksichtigung: Neben ihrer beeindruckenden Publikationstätigkeit wirkte sie bis 1938 in zahlreichen Vereinen und Verbänden. Im In- und Ausland hielt sie regelmäßig Vorträge. Ihre Aktivitäten hatten zumeist einen frauenpolitischen Schwerpunkt. Dabei lehnte sie Ehe und Familie sowie klassische Frauenrollen nicht grundsätzlich ab. Sie forderte aber eine rechtliche Besserstellung von Frauen und ihre umfangreiche Beteiligung in Politik und in akademischen Berufen.

Stellenweise wirkt der Beitrag von Reiter-Zatloukal deskriptiv und lässt eine quellenkritische Einordnung in die Geschlechtergeschichte vermissen. Die Selbstaussage von Marianne Beth, sie habe auf ihrem juristischen Karriereweg als Frau keinerlei Benachteiligung erfahren1, übernimmt die Autorin unkommentiert, obwohl sie einleitend auf die Barrieren für juristische Karrieren von Frauen eingeht. Knapp zwei Seiten füllt die Autorin zudem mit wörtlichen Zitaten aus zeitgenössischen Zeitschriften über die Juristin Marianne Beth, ohne deren geschlechterstereotype Darstellung zu kontextualisieren – weniger das Wirken, vielmehr ihr Aussehen, ihre Persönlichkeit und ihre Mutterrolle wurden darin thematisiert.

Vielversprechend gestaltet sich hingegen der Beitrag der Geschlechterforscherin Ilse Korotin über Marianne Beths Leben im amerikanischen Exil im Vergleich zu den Lebensverläufen anderer Exilantinnen. Korotin betont für den Karriereverlauf von Emigrantinnen vor allem Geschlecht als zentrale Bedeutungskategorie: Geschlechterspezifische Benachteiligungen setzten sich im Ausland oftmals fort. Geflüchtete Akademikerinnen mussten sich mit untergeordneten und/ oder qualifikationsfremden Erwerbsarbeiten zufriedengeben. So endete das publizistische und gesellschaftspolitische Wirken von Marianne Beth nach ihrer erzwungenen Ausreise als Jüdin im Jahr 1939. Künftig stand vor allem die psychische und materielle Versorgung ihrer Familie im Vordergrund. Auch soziodemografische Aspekte und Familienstand trugen in Verbindung mit Geschlecht zur Aufgabe von Karrieren bei. Da die meist älteren und erfolgreicheren Ehemänner im Exil nicht immer an ihr „wissenschaftliches Kapital des Herkunftslandes“ (S. 142) anknüpfen konnten, mussten ihre Ehefrauen stärker als zuvor die emotionale Familienarbeit schultern und fungierten als Familienernährerinnen. Daneben betont Korotin die Rolle der Kulturgebundenheit und der Gruppensolidarität: Für die konvertierte Jüdin und Österreicherin Marianne Beth ergaben sich in den USA ambivalente und konfliktgeladene Identitäts- und Zugehörigkeitsfragen.

Zwei weitere Fachbeiträge fokussieren sich auf das religionspsychologische Wirken von Marianne Beth und ihres Ehemanns Karl Beth. Der Religionspsychologe Jacob A. Belzen betont in seinem Beitrag die Pionierarbeit der Beths für die Religionspsychologie, wenngleich diese später weitestgehend in Vergessenheit geriet. Marianne Beth veröffentlichte neben Karl Beth die meisten Beiträge in der Zeitschrift für Religionspsychologie. In den 1930er-Jahren gelang es Marianne Beth zudem, Beiträge in fachfremden, aber bedeutsamen Publikationsorganen zu platzieren, etwa in den Kant-Studien oder im Archiv für die gesamte Psychologie. In ihren Veröffentlichungen entwickelte sie nach Belzen ein Verständnis über Religiosität, indem sie die Fähigkeit zum Glauben auf das Vorhandensein entsprechender psychischer „Anlagen“ bei jeder einzelnen Person zurückführte.

Die Theologin und Religionspädagogin Susanne Heine erläutert in ihrem Beitrag, dass das religionspsychologische Wirken der beiden Eheleute auf das ambitionierte Bestreben des Theologen Karl Beth zurückging, die sich in der Krise befindende Religion der Moderne zu öffnen. Obwohl Karl Beth die Theologie mit der Geschichte und vor allem mit den Naturwissenschaften – vorneweg mit der Evolutionsbiologie – zusammenbringen wollte, stimmten die Beths mit der empirischen Perspektive der Psychologie teilweise nicht überein. Nach Heine zeichnete sich Marianne Beth im Rahmen ihrer sonstigen Fachgebiete durch „selbstständige, kritische und zukunftsweisende Arbeiten aus, verbunden mit scharfsinniger Beobachtung des Zeitgeschehens“ (S. 154). In der Religionspsychologie übernahm sie stattdessen den theologisch-metaphysischen Zugang ihres 18 Jahre älteren Ehemanns. Das größte Verdienst spricht Heine den Beths weniger auf inhaltlichem, als vorwiegend auf dem Gebiet von Organisation und Vernetzung zu.

Der Beitrag der Kulturanthropologin Katharina Eisch-Angus kontextualisiert schließlich die 21 Lexikonartikel von Marianne Beth im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, das zwischen 1927 und 1942 unter dem Dach des Verbands deutscher Vereine für Volkskunde erschien. Diese Veröffentlichungen beschäftigten sich hauptsächlich mit der Stellung der Frau im Familienverband. Eisch-Angus betont trotz unumstrittenen ahistorischen, völkischen und esoterischen Inhalte des Lexikons den Gewinn einer Untersuchung dieser Texte. Aufschlussreich seien sie in Hinblick auf eine interdisziplinäre Wissensgeschichte und auf die Fragen von Glauben und Aberglauben in den heutigen Kultur- und Geisteswissenschaften.

Neben den Fachbeiträgen bietet der Band den Leser:innen 83 editierte Fachartikel von Marianne Beth, die sie in den 1920er- und 1930er-Jahren veröffentlicht hat, sowie einen Auszug aus ihrer 1912 im Fach Orientalistik eingereichten Dissertation. Thematisch reihen sich die Artikel in die von ihr bespielten Themenfelder ein. Einige der Texte sind den Leser:innen bereits durch die vorausgehenden Fachbeiträge bekannt.

Durch den Herausgeber wurden die Texte arbeitstechnisch systematisiert und vereinheitlicht sowie sprachlich angepasst. Ebenfalls wurden abschweifende Exkurse, Redundanzen und zu umfangreiche Textzitate wie Anmerkungen gekürzt. Damit überschreiten die Texte kaum eine Länge von fünf Seiten. Ein Stellenkommentar liefert neben Zitat- und Quellenangaben auch Begriffserklärungen und Kontextualisierungen. Im Anhang finden sich zudem eine Gesamtbibliografie der Veröffentlichungen von Marianne Beth sowie eine auf ihre Biografie bezogene Zeittafel.

Insgesamt leistet die kommentierte Quellenedition einen wichtigen Beitrag dazu, bedeutende Frauenbiografien des 20. Jahrhunderts angesichts einer androzentristischen Wissenschaftskultur aus der Vergessenheit zu retten. Gerade der geschlechterhistorische Kontext könnte aber – abgesehen von dem Beitrag von Ilse Korotin – in dem Buch noch sorgfältiger und analytischer aufgegriffen werden. Gut gelingt es dem Band hingegen, das breite publizistische Oeuvre von Marianne Beth in die entsprechenden Wissens- und Wissenschaftsdiskurse einzuordnen.

Unabhängig von ihrem publizistischen Werk erfahren wichtige Lebensbereiche von Marianne Beth, wie ihr berufliches und gesellschaftspolitisches Wirken, ihre Netzwerke, ihre jüdische Herkunft, ihre Ehe und ihre Familieneinbindung nur eine randständige Betrachtung. Wenngleich das nicht dem primären Anspruch des Bandes entspricht, dürften sich interessierte Leser:innen diesbezüglich mehr erhofft haben. Redundant wirken in den fachwissenschaftlichen Beiträgen zudem an einigen Stellen inhaltliche Überschneidungen.

Am Ende bietet vor allem die sorgfältige Quellenedition Forschenden unterschiedlicher Fachdisziplinen einen interessanten Einblick in das Werk von Marianne Beth und eine hilfreiche Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten. Für Forscher:innen wie auch für ein breiter interessiertes Publikum stellt die kommentierte Quellenedition einen klaren Gewinn dar.

Anmerkung:
1 Marianne Beth, Lernen und Arbeiten, in: Elga Kern (Hrsg.), Führende Frauen Europas in 16 Selbstschilderungen, München 1928, S. 94–115, hier S. 112.

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